Ein drittes Mandat für Martin Schulz?
October 8, 2016 by Charles Goerens
Luxemburger Wort
Personaldiskussionen sind meist schwierig und finden in der Regel zu Beginn einer Legislaturperiode statt. Hat man sich erst einmal auf die Nominierung des Spitzenpersonals geeinigt, kehrt schnell wieder Besonnenheit ein und die Arbeit kann beginnen.
Auch die EU ist hier keine Ausnahme, wobei es aber zwei Besonderheiten hervorzuheben gilt. Während der Präsident der Europäischen Kommission nämlich für eine Dauer von fünf Jahren bestimmt wird, werden sowohl dem Präsidenten des Europäischen Rates, als auch dem Parlamentspräsidenten lediglich Mandate von jeweils zweieinhalb Jahren eingeräumt. Sind Donald Tusk und Martin Schulz nach diesem Zeitraum jedoch noch nicht amtsmüde, müssen sie sich einer Wiederwahl stellen.
In der ersten Januarwoche 2017 erhalten wir Klarheit darüber, ob beide sich der Herausforderung noch einmal stellen möchten und gegen wen sie antreten müssen.
Wird der neue gleichzeitig der alte Amtsinhaber sein? Und was spricht eigentlich gegen eine erneute Kandidatur von Martin Schulz?
Die übliche Antwort auf die letzte Frage geht aus einer ungeschriebenen Vereinbarung zwischen den politischen Gruppierungen hervor, der zufolge ein Amtsinhaber sich auf eine einzige Mandatsdauer beschränkt. Simone Veil, Piet Dankert, Lord Plumb, Nicole Fontaine, Hans-Gert Pöttering oder Pat Cox, um nur einige frühere Parlamentspräsidenten zu nennen, haben sich alle, ohne Ausnahme, mit dieser Regelung abgefunden. Nach den letzten Europawahlen wurde diese Vereinbarung dann aber erstmals nicht berücksichtigt.
Juncker leitet eine Kommission, die politischer ist als ihre Vorgänger und die dadurch an Legitimität und an Bedeutung gewonnen hat.
Auch im Europäischen Parlament weht ein neuer Wind. Dies ist zu einem großen Teil dem Präsidenten Martin Schulz zuzurechnen, der diesen Prozess mitinitiiert hat. Er versteht es, wie kaum einer vor ihm, durch sein politisches Talent und seine dezidierte Art aufzutreten die Bedeutung des Parlamentes nach außen zu tragen. Das Parlament hat unter ihm an öffentlicher Wahrnehmung gewonnen. Es gibt kaum ein europäisches Ereignis, bei dem nicht der Name Martin Schulz fällt. So steht sein Name neben dem der vier anderen Vorsitzenden der Europäischen Institutionen unter dem „Bericht der fünf Präsidenten“. In besagtem Dokument werden alle Maßnahmen aufgelistet, die aufgebracht werden müssen, um eine politische Union zu schaffen, die sich verpflichtet fühlt dem Bürger zuzuhören, ihn zu verstehen und ihm Lösungen anzubieten.
Unter den „Big Five“ ist er sicherlich nicht der Unbedeutendste. Wir erinnern uns daran, wie er am 12. Oktober 2012 in Stockholm zusammen mit José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy den Friedensnobelpreis an die EU entgegennahm. Auch bei den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten geht sein Mitwirken weit über eine Pflichtkür bei der Aufnahme des Gruppenbildes hinaus. Seine ihm eigene Art aufzutreten um den Standpunkt des Europäischen Parlamentes den Regierungsvertretern zu verdeutlichen wird in seinen unzähligen Stellungnahmen dokumentiert. Und auch in den Medien wird er weit über den deutschsprachigen Raum hinaus wahrgenommen. Seine Mehrsprachigkeit mag sich dabei auf jeden Fall als hilfreich erweisen, aber auch seine Persönlichkeit tut ihr Übriges dazu.
Europa hat derzeit mehrere Krisen zu bewältigen, wobei der Austritt Großbritanniens ohne Zweifel am heftigsten am europäischen Gerüst rüttelt. Wie und wann das Vereinigte Königreich sich endgültig aus der EU zurückzieht vermag zu diesem Zeitpunkt zwar noch niemand zu sagen. Dass aber die 27 Mitgliedstaaten, die Kommission und das Parlament gut darin beraten wären in Bälde eine wirksame Strategie vorzulegen, die den Austritt Großbritanniens aus der EU und die Zeit danach gestalten sollen, ist unabdingbar.
Finden die Vertragspartner eine Einigung, liegt das letzte Wort beim Europäischen Parlament. Der Weg bis hin zu diesen Befugnissen war jedoch nicht einfach. Mit dieser Verantwortung gilt es aber nun auch gebührend umzugehen. Die Bürger nehmen die europäischen Institutionen in einem erheblichen Maße durch deren Hauptakteure wahr. Martin Schulz ist einer von ihnen. Er ist und bleibt ein waschechter Sozialdemokrat, was ihn aber nicht daran hindert, das Parlament als Ganzes zu vertreten.
Als Abgeordnete im Europäischen Parlament sind wir jedoch „keine Auserwählten, sondern Gewählte”, um es mit Willy Brandt zu halten. Unter den 561 Abgeordneten, die nicht zu seiner politischen Familie gehören, gibt es viele, die anerkennen, dass er ihr Parlament aufgewertet hat. Die Fähigkeiten dazu hat er. Diese kommen am ehesten zum Tragen, wenn ihm auch die dafür nötige Zeit eingeräumt wird. Wenn es Mitte Januar 2017 zur Wahl des Präsidenten des Europäischen Parlamentes kommt, sollten wir Martin Schulz ein drittes Mandat gewähren.